Vom Universum by Wolfgang Tschirk

Vom Universum by Wolfgang Tschirk

Autor:Wolfgang Tschirk
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783662620649
Herausgeber: Springer Berlin Heidelberg


Durch Faraday hatte das Interesse der Allgemeinheit an der Naturwissenschaft in England einen Höhepunkt erreicht. Seine Freitagabend-Vorträge und die Weihnachtsvorlesungen vor gemischtem Publikum vermochten die größten Hörsäle bis auf den letzten Platz zu füllen. Ein Gemälde zeigt uns eine Veranstaltung aus dem Jahr 1856 mit dem Prinzgemahl Albert und dem Prinzen von Wales, dem späteren König Edward VII., im Auditorium. Auch Kinder kamen, um Faraday zu hören; ihnen erzählte er die Chemische Geschichte einer Kerze.

Das neunzehnte Jahrhundert war das Zeitalter der industriellen Revolution. Sie hatte zunächst von der Entwicklung der Wärmekraftmaschinen profitiert, nun begann aber auch die Elektrizität eine Rolle zu spielen. Schon in deren Anfangstagen hatte Faraday auf die Frage eines Parlamentskommissärs, wofür denn seine Entdeckungen gut wären, geantwortet, er könne das zurzeit nicht sagen, sei aber sicher, man würde eines Tages dafür Steuern zahlen. Vermutlich traf seine Vorhersage früher ein, als er gedacht hatte. Die Berichte aus jener Epoche sind von einer Fortschrittsgläubigkeit erfüllt, die wir heute nicht mehr nachempfinden können. Zwar hatte die Physik stets eine enge Verbindung zur Technik gehabt: Archimedes war als Berater für Militärtechnik ebenso gefragt gewesen wie als Philosoph; Galileis Fernrohr hatte man in Venedig mehr wegen seiner Anwendung zur Sichtung feindlicher Schiffe geschätzt als aufgrund seines ursprünglichen Zweckes; und Carnots Theorie der Wärme fußte auf der Entwicklung der Dampfmaschine. Die Elektrizität übertraf jedoch alles Bisherige. Die Erfindungen des Telegrafen durch Sömmering 1809, der Glühbirne durch Göbel 1865, des Dynamos durch Siemens 1866, des Telefons durch Bell 1876, des Transformators durch Tesla 1891 und der drahtlosen Telegrafie durch Marconi 1894 sind Meilensteine der Ingenieurskunst. Wohnungen und Straßen erstrahlten im elektrischen Licht, Maschinen ersetzten da und dort die schwere Körperarbeit, Menschen sprachen in die Ferne, Nachrichten flogen über den Erdball. Der Glaube an die Befreiung des Menschen durch die Technik war grenzenlos.

Die Physik als Grundlagenwissenschaft schien sich dem Ende zu nähern. Alle mechanischen Vorgänge ließen sich durch die newtonsche Theorie beschreiben, die Probleme des Lichtes und der Wärme waren gelöst, und dem Elektromagnetismus hatte Maxwell seine vollkommene, endgültige Form gegeben. Als ein junger Mann namens Max Planck sich 1874 nach einem Studienfach umsah, riet man ihm von der Physik ab, da alles Wesentliche auf diesem Gebiet schon gefunden und nichts grundsätzlich Neues mehr zu erwarten wäre. Hätte das zugetroffen, so wäre unser Buch hier zu Ende. Damit würden wir jedoch um den aufregendsten Teil betrogen: jenen, in dem die Physik das Licht zurückwirft auf unser Denken und wir begreifen müssen, dass vieles von dem, was wir für ausgemacht und unverrückbar halten, bloße Erfindung unseres Geistes ist. Platon hat das geahnt und in seinem Höhlengleichnis beschrieben: Von den Dingen sehen wir nur die Schatten. Dennoch kam es wie ein Erdbeben über die Wissenschaft, dass hinter dem Inbegriff des Beständigen, der Materie, etwas ganz und gar Flüchtiges, Unwirkliches steckt und ausgerechnet jene Wesenheiten, die Kant als aller Anschauung zugrunde liegend betrachtet hatte, in gleichem Maße Hirngespinste sind: der absolute Raum und die absolute Zeit.



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